An der Schnittstelle von

An der Schnittstelle von

Franziska Hauser hält mit „Keine von Ihnen“ der Kunstszene den Spiegel vor – und das ist äußerst lustig.

„Schnittstelle! Es muss auf jeden Fall das Wort Schnittstelle drin vorkommen!“ Ich musste ziemlich lachen, als Franziska Hauser dies auf ihrer Premierenlesung im Berliner Pfefferberg Theater sagte. Ihr neuer Roman „Keine von Ihnen“ spielt im Künstlermilieu und auch wieder nicht – dazu später – aber es war für mich schon aus diesem Grund klar, dass ich ihn unbedingt lesen muss. Meine Jahre als Redakteurin bei einem Kunstmagazin, wo ich zwar selten selbst verschwurbelte Sachen schrieb, aus den Pressetexten zu Ausstellungen aber ein passables Bullshit-Bingo hätte basteln können, haben mich wirklich nachhaltig geprägt.

Nachdem ihr Vorgängerbuch „Die Glasschwestern“ in einem Hotel in Brandenburg angesiedelt war, verlegt Franziska Hauser ihre Handlung in „Keine von Ihnen“ in ein heruntergekommenes Herrenhaus in den Bergen. Hier verbringt Jenifer Maria Brakel – von allen Jef genannt – drei Monate als Stipendiatin einer Kunststiftung. Dabei ist sie eigentlich Gebrauchsgrafikerin und hatte die Bewerbung nur abgeschickt, um, flapsig ausgedrückt, „das System zu trollen“.

Denn wer künstlerisch nichts oder nur wenig zu sagen hat, versteckt sich gerne hinter komplizierten Begriffen, die letztendlich nur hohle Phrasen sind.

„Ich möchte mit meiner verloren gegangenen Identität in einen Diskurs treten. […] Aus meinem Unvermögen, vergangene Zusammenhänge zu identifizieren, ergibt sich für mich die Notwendigkeit, die Vergangenheit Schritt für Schritt abzutasten, so lange, bis sich jede Spur des zu untersuchenden Vorgangs verloren hat“, schrieb Jef.

Die vier anderen Stipendiat*innen nutzen auch derartige Formulierungen, aber ohne jegliche Ironie. Da ist Wolf, der feinfühlige Gedichte schreibt; Oleksii, der eigenwillige Kompositionen aus Musik und Alltagsgeräuschen fabriziert; Vin, der Schmuck bastelt, welcher nur schwer am Körper zu befestigen ist und Sonja, die ihre Umgebung in Tanzchoreographien verwandelt. Dass die Fünf, die sich nie zuvor gesehen haben, nun in einem Haus ihren Alltag teilen, stellt alle auf die Probe. Vor allem mit ihren Essgewohnheiten treiben sie sich gegenseitig in den Wahnsinn. Und dann ist da noch Therese, die hinter einem Schrank wohnt, im Kopf nicht mehr ganz beisammen ist und mitten in der Nacht Kekse backt und Skulpturen aus Essenresten hinterlässt. Sie ist eine der spannendsten Figuren im Buch.

Wann ist man ein Künstler oder eine Künstlerin? „Kunst ist doch nur der Versuch, die eigenen Störungen unter Kontrolle zu kriegen“, heißt es an einer Stelle und tatsächlich haben alle Protagonist*innen mehr oder weniger einen an der Waffel. Leider erfahren wir nur wenig über die Hintergründe der Charaktere – dafür sind wir ganz nah an Jef, durch deren Augen wir das Geschehen in der verfallenen Villa verfolgen. Und die befindet sich in einer handfesten Sinn- und Lebenskrise: Sie sinniert über zerbrochene Beziehungen und Freundschaften und weiß nicht so richtig, wohin sie eigentlich möchte. Das könnte man sicherlich sehr hübsch in kunsttheoretische Schwurbeleien gießen – doch Jef fühlt sich einfach nur gelähmt.

Franziska Hauser ist eine geübte Erfinderin von Geschichten und Personenkonstellationen – die bei ihr, wie sie verraten hat, oft auf realen Menschen beruhen – und weiß, wie man mit wenigen Sätzen eine skurrile Atmosphäre entstehen lässt. Wie auch in den vorherigen Büchern durchzieht „Keine von Ihnen“ ein feiner Humor, der großen Spaß macht. Da lässt es sich verkraften, dass der Roman zum Ende hin plötzlich etwas hektisch wird und ein Erzählstrang viel zu knapp zu Ende gebracht wird.

Franziska Hauser
Keine von Ihnen
Eichborn Verlag, 2022
Gebunden, 304 Seiten, 23 Euro

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