Wer ist eigentlich für diese Bausünde namens „Steglitzer Kreisel“ verantwortlich? Till Raether erzählt in „Die Architektin“ die Geschichte hinter dem unbehausten Monstrum.
Es gibt Berlin-Romane, die vor Coolness nur so strotzen, die von den wilden 80ern in Kreuzberg, den anarchischen Jahren nach der Wende in Mitte und den Hipstern der Gegenwart berichten. Und dann gibt es den neuen Roman von Till Raether, der ein ganz anderes Kaliber ist: In „Die Architektin“ erzählt Raether von Westberlin 1972, das sich – rundherum vom Osten eingemauert – glamourös gab und doch immer ein bisschen muffig roch. Und er tut das auf eine so lustige Art und Weise, dass ich mir vor Freude fast ein Glas Scharlachberg Meisterbrand aus der Hausbar eingegossen hätte – besäße ich denn Weinbrand, geschweige denn eine Hausbar.
Aber von vorn. Worum geht es eigentlich? Wer einmal in die Verlegenheit kommt, sich nach Steglitz zu verirren (zum Beispiel, um sich den herrlich grotesken „Bierpinsel“ anzuschauen, der wie ein skurriler Pilz über der Schloßstraße thront und auch das Cover des Romans ziert), stößt früher oder später auf ein Hochhaus, das wie ein mahnender Zeigefinger aus der Gründerzeitbebauung des Stadtteils heraussticht: „Steglitzer Kreisel“ heißt das Ding, dass 30 Stockwerke zählt, 120 Meter hoch ist – und seit 2007 vollständig leersteht. Wie konnte das passieren?
Geld, Häuser und Männer
Nun, Berlin ist um Bausünden nicht verlegen, der BER ist aus ästhetischer Sicht ja auch eher zu vernachlässigen. Aber bei dem Kreisel – der im Roman von Raether aus Gründen der Fiktion „Kegel“ heißt – handelt es sich um ein lokales Skandälchen erster Klasse. 1968 begannen die Bauarbeiten für das phallische Monstrum, ausgedacht hat es sich die Architektin und Bauunternehmerin Sigrid Kressmann-Zschach.
Geld, Häuser und Männer könne man nie genug haben, soll sie, die in einem schicken Anwesen in Grunewald residierte, einst gesagt haben. Für das millionenschwere Projekt, was später zu einem Millionengrab werden sollte, ließ sie ihren Charme bis in die obersten Etagen des Berliner Senats spielen. Die Männer in ihrem Umfeld, so heißt es im Roman von Raether – der die Geschichte aber nur aufgreift, nicht nacherzählt, das muss betont sein – öffneten ihr nach einem Augenzwinkern bereitwillig die Geldbörsen.
Sie hatte es ihm noch nie erklärt. […] Dass man das höchste Gebäude der Stadt nicht deshalb baute, weil jemand das Gebäude brauchte, die Tausenden von Quadratmetern Bürofläche, die es darin geben würde. Sondern, weil es ging. […] Ob dabei am Ende ein Gebäude herauskam, das jemand mieten, kaufen, versteigern oder pleite gehen lassen wollte, war unerheblich.
Es wird sie in vielerlei Hinsicht teuer zu stehen kommen: Vier Jahre später meldet Kressman-Zschach mit ihrer Firma Insolvenz an, der Senat bleibt auf den Baukosten sitzen, die Investoren haben alles verloren. Darauf einen Dujardin!
Meister des Zeitkolorit
Bei Till Raether steht allerdings nicht die Architektin im Mittelpunkt; sie bleibt eine eher kühle, unscharfe Person, die sich nur schwer greifen lässt. Dreh- und Angelpunkt ist vielmehr Otto „Otters“ Bretz, der 19-jähige Abiturient, der seine journalistische Karriere starten möchte – mit einem Praktikum beim Spandauer Volksblatt. Spandau, gehört das überhaupt noch zu Berlin?

In Westberlin liegt es jedenfalls so weit im Westen, dass es fast schon wieder im Osten ist, aber das ändert nichts an der Motivation Ottos, der – vermutlich, weil gerade keine Versammlungen des Taubenzüchtervereins anstehen – zu einer Geistererscheinung auf der Baustelle des Kegels recherchieren soll. Damit bringt er die unrühmliche Geschichte um das Bauwerk wieder ins Rollen und macht sich keine Freunde.
Auf den folgenden 400 Seiten kommt es zu allerlei aberwitzigen Verwicklungen, manchmal slapstickhaften Episoden, es werden Häppchen in Aspik gereicht, man läuft in Feinstrumpfhose über den Hochflorteppich und immer hat irgendjemand ein Glas Weinbrand in der Hand. Bis am Ende sprichwörtlich alles durcheinandergewirbelt wird.
Till Raether lässt sich bei seinem neuen Roman Zeit für das Erzählen und zeigt sich darin als Meister des Zeitkolorit; seine Schilderungen einer Ära, in der Asbest und stinkende Benziner das Nonplusultra waren und gequarzt wurde ohne Ende, machen großen Spaß – auch für Nicht-Berliner:innen!
Till Raether
Die Architektin
btb Verlag, 416 Seiten, 24 Euro