Angst, Hass, Titten und der Wetterbericht

Angst, Hass, Titten und der Wetterbericht

Sexismus und Machtmissbrauch bei Springer? Kommt nicht überraschend. Benjamin von Stuckrad-Barre prangert das mit „Noch wach?“ an.

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Ein paar Worte vorweg: Ich bin bei diesem Thema nicht unparteiisch – so gar nicht. Seit fast zwanzig Jahren arbeite ich als Journalistin und als ich damals, Anfang der 2000er-Jahre, in die Branche eintrat, war diese noch recht homogen. „Weiß, männlich und über 50“, fasste ich das damals einer Freundin gegenüber zusammen. In meiner Kölner Redaktion war ich das Küken und die einzige Frau in der Runde, die zwar vertrauensvoll zu allen möglichen Pressekonferenzen geschickt wurde, deren eigene Themenvorschläge aber oft müde belächelt wurden. „Schätzchen, wer will denn sowas lesen?“

Die vermeintlich „lustigen“ Sticheleien mit latent sexistischem Inhalt konterte ich gekonnt, dabei blieb es zum Glück auch. Wir waren schließlich noch immer auf „der guten Seite“. Sprich: Nicht bei Springer. Dass das Berliner Medienhaus eine karriereschädigende No-Go-Area ist für alle, die es mit dem Journalismus ernst meinten, war mir von Anfang an bewusst.

Auf Presseterminen lernte ich BILD-Journalist:innen kennen, die es schafften, mit ihren rücksichtslosen und unverschämten Fragen den damaligen Bürgermeister fast zu Tränen zu reizen. 2009 war dsa Kölner Stadtarchiv wegen eklatanter Fehler des Bauunternehmens urplötzlich eingestürzt und hatte einen riesigen Krater und Tausende zerstörter Dokumente hinterlassen, zwei Menschen kamen dabei ums Leben. „Was wird das die Steuerzahler kosten?“, war die einzige Frage, die den Springer-Leuten dazu einfiel. Als ich bei einem Abendtermin, salopp „Stehrumchen“ genannt, bei einem Glas Sekt mit einem Mann ins Gespräch kam, der mir erzählte, er schreibe für die BILD, brach ich das Gespräch ab und ließ ihn stehen. In solchen Situationen habe ich das Zitat von Max Goldt stets parat:

“Die Bild-Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muss so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zuläßt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun“

Zum Glück hat sich in diesen zwei Jahrzehnten einiges getan in Sachen Gleichberechtigung im Journalismus. Es gibt mehr Frauen in leitenden Positionen, ich muss meine Themen nicht mehr verteidigen, weil mich niemand ernst nimmt. Nun, so ist es zumindest in den Redaktionen, für die ich arbeite. Bei Springer hat sich nicht viel getan, scheint es.

Debatte läuft heiß

In diesem Frühling sind dort ein paar sprichwörtliche Bomben geplatzt. Der absolut hörenswerte Podcast „Boys Club“ beschäftigt sich ausführlich mit dem Machtmissbrauch an der Axel-Springer-Straße in Kreuzberg; nicht zuletzt hat sich Konzernchef Matthias Döpfner mit seinen an die Öffentlichkeit gelangten SMS an Kollegen selbst als jemand entlarvt, der auf alle Regeln und Richtlinien der Presse pfeift. Aber gut, auch das kommt nicht überraschend.

Als hätten sie sich alle abgesprochen, sprengt jetzt auch noch der neue „Stucki“ die Debatte. „Noch wach?“ wurde unter größtmöglichem Aufwand bis zum Erscheinungstermin geheimgehalten, es gab keine Presseexemplare, niemand hat es vorab gelesen. Das war kein Marketing-Coup des so selbstinszenierungsverliebten Autors, sondern reine Vorsichtsmaßnahme: Der Verlag hatte Angst, dass ihn eine Klagewelle erreicht, bevor das Buch ausgeliefert ist.

Der Ich-Erzähler, den man natürlich nicht mit Benjamin von Stuckrad-Barre gleichsetzen darf, der aber ziemlich offensichtlich einige Parallelen zu ihm besitzt, begleitet darin das Compliance-Verfahren, das 2021 gegen Julian Reichelt durchgeführt wurde. Stuckrad-Barre hat selbst lange für Springer – die WELT – geschrieben und war mit Matthias Döpfner zeitweise eng befreundet.

„Hose anlassen“

Im Roman besteht die Freundschaft zwischen dem Erzähler und dem CEO eines in Berlin ansässigen Boulevard-Senders zu Beginn noch, geht aber durch dessen zurückhaltenden Umgang mit den Anschuldigungen der sexuellen Belästigung gegen den Chefredakteur in die Brüche. Denn: Im Hause des Senders sind ekelhafte Altherrenwitze an der Tagesordnung; wenn dir dein Vorgesetzter in den Hintern kneift, bist du es selbst schuld: Warum trägst du auch so einen engen Rock, da kann man ja nicht widerstehen!

Auch bei Springer ist derlei Usus. Schon vor Julian Reichelt hatte sich Kai Diekmann wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung verantworten müssen; er soll eine Mitarbeiterin beim gemeinsamen Baden nach einer Tagung angegangen sein. Hat hier jemand überreagiert oder wie stellt sich die Lage dar? Im Roman heißt es dazu wie folgt:

„[…] das will man nicht, und das sollte man nicht müssen, den eigenen Chef nackt sehen, unter absolut gar keinen Umständen, und das als Chef zu verhindern, das ist doch auch wirklich nicht so schwer: Hose anlassen, ganz einfach, Hose bleibt an, in egal welcher Situation und Stimmung, wenn Mitarbeiter auch nur in der Nähe sind.“

Doch das Problem liegt tatsächlich nicht nur bei den Springer-Männern, sondern auch bei den Springer-Frauen. Wenn man täglich menschenverachtende Sülze in Großbuchstaben in eine Zeitung kotzt, dann ist man womöglich selbst irgendwann verblendet. So wundert es nicht, wenn Hauptfigur Sophia, die später eine zentrale Rolle in Sachen „Chefredakteur zu Fall bringen“ spielt, am Anfang beteuert:

„[…] okay, du hast zuäfllig gehört, wie ich am Telefon ner Freundin erzählt habe vom FUMMEL-OPI, so what? […] Ich lache darüber. Du glaubst, das ist eine Ausnahme? Ich will dir mal was erzählten über deine sensationelle Neuentdeckung SEXISMUS: Das ist überall, jeden Tag. Get over it!“

Tja, da muss man wohl mit klarkommen, wenn man Karriere machen will, ist ja normal, oder, Mädels? Nein, ist es nicht! Letztendlich finden sich immer mehr betroffene Mitarbeiterinnen zusammen, die ihre Geschichte erzählen und das Compliance-Verfahren in Gang bringen. Beim Lesen dieses Buches kann einem gelegentlich die Hutschnur platzen. Das ist natürlich gewollt, denn Stuckrad-Barre legt hier nicht einen generellen „me too“-Roman vor, er eignet sich auch nicht die Sexismus-Erfahrung der Frauen an (wie ihm zu Unrecht vorgeworfen wurde) – dafür steht die männliche Erzählerfigur sowie die anderen Männer viel zu sehr im Mittelpunkt. Er rechnet in erster Linie mit dem System Springer ab.

„Stucki“ is back

Und dabei läuft er zu seiner alten, literarischen Größe auf, die ich vergöttere, seit ich mit 15 Jahren seinen Erstling „Soloalbum“ las. „Stucki“, dessen zwar sehr zynische und sarkastische, meistens aber eben treffsichere Gesellschaftsporträts ich als Vorbild für meine eigenen, frühen Texte nahm und die bisweilen so scharf sind, dass mir beim Lesen ein „hui!“ entwich. Etwa, wenn er, leicht zu erkennen, Julian Reichelt beschreibt:

„[…] dieser Typ hatte sich politisch doch sehr unangenehm radikalisiert mit den Jahren, war direkt proportional dazu immer fetter geworden, und parallel zu seinem Haupthaar fielen auch seine Sicherungen immer schneller und großflächiger aus, er war so eine Art wirr faselnder Gartenzaunnazi geworden, der sich, ja UNS dauernd bedroht sah, was ihn zu allerlei Wutgeschäume animiert, und man hätte das einfach als kurios, sogar als recht amüsant abtun können, wenn er einfach nur ein weiterer urdeutscher Hausmeister gewesen wäre, aber er war nun mal Chefredakteur eines recht erfolgreichen Fernsehsenders […]“

Man könnte darüber diskutieren, warum der Autor gewisse Begriffe – meistens sind es Floskeln und Phrasen – IN GROßBUCHSTABEN schreibt, aber beim Lesen ist das einfach Gewöhnungssache und verstellt meiner Meinung nach nicht die Sicht auf einen Roman, der ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Diskussion um Machtmissbrauch ist – vielleicht auch der oft beschworen „Schlüsselroman“. Auf jeden Fall macht er deutlich: In Sachen Sexismus, Misogynie und Machtmissbrauch gibt es noch so viel zu tun…

Benjamin von Stuckrad-Barre
„Noch wach?“
Kiwi Verlag, 384 Seiten, 25 Euro

Titelbild: Markus Spiske / Unsplash

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