Seit 27 Jahren betreibt Ingo Držečnik den Elfenbein Verlag. Jetzt ist er für den Berliner Verlagspreis nominiert.
Die deutsche Verlagslandschaft ist ziemlich vielfältig, damit erzähle ich euch nichts Neues. Einige große, aber vor allem etliche kleinere haben ihren Sitz außerdem in Berlin. Um diese unabhängigen Verleger*innen in ihrer Arbeit zu unterstützen, hat die Senatskulturverwaltung 2018 den Berliner Verlagspreis ins Leben gerufen; einen Preis, der in Zeiten der Pandemie und der Lockdowns eine ganz besondere Bedeutung bekommen hat. Jedes Jahr im Herbst nominiert eine Jury aus Kulturschaffenden und Buchhändler*innen sechs Verlage, von denen einer den Hauptpreis bekommt und zwei weitere einen etwas niedriger dotierten Preis.
Als Verlagspreisbloggerin habe ich die Vergabe bereits vergangenes Jahr begleitet und den Verlag Das kulturelle Gedächtnis porträtiert; in diesem Jahr lernte ich Ingo Držečnik vom Elfenbein Verlag kennen, der – wie ich – seinen Sitz in Prenzlauer Berg hat. Entstanden ist der Verlag eher aus Zufall. Držečnik und sein Kommilitone Roman Pliske studieren Anfang der 1990er Jahre Germanistik in Heidelberg und geben die Zeitschrift metamorphosen heraus (die es noch heute gibt), mit Lyrik, Kurzgeschichten und Essays, ein Heft kostet 2 DM. Regelmäßig veröffentlichen sie Gedichte von Andreas Holschuh, die auf viel Begeisterung stoßen – warum sollen sie diese also nicht als separates Buch veröffentlichen?
1996 erscheint „Unterderhand“ des 1957 in Sinsheim geborenen Holschuh, der hauptberuflich als Krankenpfleger arbeitet. Kurz nach der Veröffentlichung nimmt er sich das Leben, indem er aus dem Fenster springt. „Das war ein großer Schock für uns, nicht nur aus verlegerischer Sicht. Wir waren mit ihm befreundet“, sagt Držečnik. Bis heute ist „Unterderhand“ das Buch aus dem gesamten Programm, das ihm am meisten bedeutet. Trotz tragischem Vorfall ist der Grundstein für den Elfenbein Verlag gelegt; eine preisgünstige Druckerei in Tschechien haben sie auch gefunden, die Auslieferung an die Buchhandlungen übernehmen sie persönlich.

Vom studentischen Projekt zum professionellen Verlag
1997 mieten sich Držečnik und Pliske zum ersten Mal einen Stand auf der Frankfurter Buchmesse, das passende Buch zum Portugal-Schwerpunkt haben sie auch im Gepäck: Den Erzählband „Das Haus am Rande des Dorfes“ von José Riço und den Gedichtband „Canções — Lieder“ von Antónie Botto. Dass sich Erzählbände und Lyrik bis heute nicht gut verkaufen und oft durch Belletristik querfinanziert werden müssen, stört ihn damals noch nicht. „Wir wollten einfach gute Literatur verlegen, kamen ja frisch aus dem akademischen Umfeld“, erzählt Držečnik. Daran, dass sie womöglich einmal von den Buchverkäufen leben müssen, denken sie nicht.
Heidelberg mag ein wichtiger Ort der Deutschen Romantik gewesen sein, doch das literarische Leben tobt hier weniger. 2001 zieht der Elfenbein Verlag deshalb nach Berlin, hebt zeitgleich den 1930 zum ersten Mal erschienenen Roman „Fertig mit Berlin?“ von Peter de Mendelssohn aus der Versenkung. Prenzlauer Berg, zu der Zeit noch etwas wilder als heute, wird ihr neues Zuhause. Zu dem Zeitpunkt hat der Verlag bereits 50 Bücher publiziert. 2003 erweist sich das „Journal Intime 1982/83“ von Nikolaus Sombart als viel besprochener Bestseller – knapp 20 Jahre später erscheinen nun Sombarts Aufzeichnungen seiner Kinderjahre in Berlin und das „Journal Intime“ bekommt demnächst auch eine Neuauflage.

Das verlegen, was einem gefällt
Für seinen Verlag hat Ingo Držečnik keine festen Vorgaben, was die Themen oder Autor*innen angeht. „Ich mache die Bücher, die mich persönlich ansprechen und von denen ich denke, dass sie anderen auch gefallen werden“, sagt er. Oftmals sind es Schriftsteller*innen, die in früheren Jahrzehnten rege publizierten und dann vergessen wurden: Zum Beispiel der Brite Arthur Machen (1863–1947), der Horrorgeschichten aus dem Genre der „Gothic Novels“ veröffentlichte oder Alfred Henschke (1890–1928), genannt Klabund. So erschien um die Jahrtausendwende gleich eine 8-bändige Werkausgabe des Dichters. Auch die zwölfbändige Werkausgabe von Anthony Powell (1905-2000), mit dem sich laut Držečnik Großbritannien besser verstehen lässt, gehört zu den größeren Projekten des Verlags, ebenso wie die umfangreiche China-Trilogie von Rainer Kloubert.
Und Držečnik macht das alles alleine? Ja, ganz allein. Ab und an gibt es Praktikant*innen, die ihm unter die Arme greifen, doch den Großteil koordiniert er aus seinem heimischen Wohnzimmer in Prenzlauer Berg heraus in Einzelarbeit. Aus den drei Büchern, die er sich in den Anfangsjahren als maximale Anzahl pro Saison vorgenommen hatte, sind mittlerweile mehr geworden; im kommenden Frühjahr werden es fünf Neuerscheinungen sein.
Ein ungeheures Lesepensum muss der Wahlberliner absolvieren, neben seiner Arbeit als Deutschlehrer alle Manuskripte lesen. „Bis 2025 sind wir mit Projekten vollkommen ausgebucht“, sagt er. Es läuft also. 2021 wurde der Elfenbein Verlag bereits mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet – vielleicht kommt am Sonntag noch der Berliner Verlagspreis hinzu.
Der Berliner Verlagspreis wird am Sonntag, 13. November ab 11 Uhr im Deutschen Theater Berlin vergeben. Wer teilnehmen möchte, kann sich kostenlos unter info@berlinerverlagspreis.de anmelden