Können Häuser Einfluss auf das eigene Leben nehmen? Andreas Schäfer verstrickt in „Das Gartenzimmer“ gleich mehrere Familien in die dunkle Geschichte eines Gebäudes in Berlin-Dahlem.
Weiterlesen: Die Geister der Vergangenheit„Ich glaube, die Wohnung mag mich nicht“, schrieb ich vor zehn Jahren einer Freundin. „Urplötzlich gehen Geräte kaputt und funktionieren dann wieder, in den Ecken knackt es und die Dusche spielt auch nicht mit.“ Meine erste Wohnung in Berlin und ich, wir brauchten eine ganze Weile, um miteinander warm zu werden – wobei wir nie wirklich warm wurden, da der Heizkessel im Keller mit schöner Regelmäßigkeit ausfiel und die Kaltluft aus Sibirien durch meine undichten Altbaufenster zog. Können Wohnungen und Häuser ein Eigenleben führen, können sie unliebsame Bewohner*innen abstoßen und sogar Einfluss auf deren Beziehungen haben?
Liest man den Roman Das Gartenzimmer von Andreas Scäfer ist man danach überzeugt: Ja, Gebäude haben nicht nur eine bestimmte Aura, sie haben mitunter sogar Macht und Einfluss. In seinem neuen Buch spielt ein 1909 am Waldrand in Berlin-Dahlem gebautes Einfamilienhaus die Hauptrolle, entworfen und umgesetzt von dem bekannten Architekten Max Taubert – ihr braucht ihn nicht googlen, es gab ihn nicht, doch er vereint in seinen Aussagen und seinem Baustil den Umbruch von ornamentalem Prunk mit Giebeln und Gauben der Jahrhundertwende hin zu schlichter und lichtdurchfluteter Bauhaus-Eleganz mit Stahlrohrmöbeln. Und somit eine ganze Architektengeneration zwischen den Weltkriegen.
In den 1990er Jahren kaufen Hannah und Frieder das inzwischen verwahrloste Gebäude und bringen es behutsam in den denkmalgeschützten Originalzustand zurück. Hannah verbeißt sich aber derart in die Geschichte des Hauses – vor dem ersten Weltkrieg ging dort die Créme de la créme der Berliner Kulturwelt ein und aus –, organisiert Führungen, Kammerkonzerte und Empfänge, dass es den Rest der Familie schnell zu nerven beginnt.

„‚Kannst du mir einen Gefallen tun?‘ sagte er einmal zu ihr, bevor sie aus dem Auto stiegen, um die Einladung von Eltern eines Klassenkameraden ihres Sohnes wahrzunehmen. ‚Kannst du bitte eine Stunde verstreichen lassen, bevor du den Namen Taubert das erste Mal erwähnst?’“
Nicht nur Ehemann Frieder, sondern auch Sohn Luis ist der Enthusiasmus seiner Mutter peinlich. Vor allem, wie sich im Verlauf des Buches zeigt, weil er sich in dem Haus so gar nicht wohlfühlt. Das Gebäude scheint zu atmen und eine Atmosphäre zu verbreiten, die ihm Gänsehaut verursacht. Was er nicht weiß: Seiner Mutter geht es ähnlich:

„Sie fühlte sich beobachtet. Alles im Haus war neu, Wasser- und Stromleitungen, Böden, Vertäfelungen, Einbauten doch mit der Wiederherstellung der unsprünglichen Formen trat – so Hannahs Eindruck – etwas Altes hervor. Die ersten Bewohner, das Ehepaar Rosen; obwohl sie kaum etwas von ihnen wusste, glaubte sie, ihre Anwesenheit körperlich zu spüren.“
Das Ehepaar Rosen hatte die Villa damals bei Taubert in Auftrag gegeben; während Adam Rosen bereits in den Zwanziger Jahren starb, lebte Elsa Rosen bis nach dem Zweiten Weltkrieg dort. Das während des Krieges Nazi-Schergen einen Teil des Gebäudes für sich und menschenverachtende Zwecke nutzten, wird ihr erst später in aller Deutlichkeit bewusst. Die grausame Vergangenheit jedoch setzt sich damals in allen Ritzen und Ecken fest und sondert bis ins neue Jahrtausend sein zersetzendes Gift ab. Wer mit diesem Haus zu tun hat, wird nicht glüklich – und bleibt doch gleichermaßen fasziniert, wie der Journalist Julius Sander:

„Ich sage dir, was für mich das Besondere an dem Haus ist. Es besitzt keinen Keller. Natürlich, im Untergeschoss liegt das Gartenzimmer, aber das ist kein Keller, in dem man Dinge aufbewahrt, es ist ein weiterer Wohnraum. In diesem Haus hat die Vergangenheit keinen Ort. Sie vergeht nicht. Alles ist immer da. Gegenwärtig. Deshalb komme ich von diesem Haus nicht los.“

Liegt auf dem Haus vielleicht ein Fluch? Auch wenn der Großteil der über die Jahrzehnte mit dem Haus verbundenen Menschen nicht an Derartiges glaubt: Zwischenmenschliche Verbindungen gehen im Umfeld des Taubert’schen Erstlings mit schöner Regelmäßigkeit zu Bruch.
Andreas Schäfer weiß diese Verstrickungen mit beeindruckender psychologischer Feinfühligkeit und Genauigkeit zu beschreiben, kleinste charakterliche Nuancen der Figuren werden herausgearbeitet, so dass man am Ende das Gefühl hat, mit ihnen im Haus zu wohnen. In dem Haus, das vom Grundriss her einem Schiff gleicht und seit seiner Erbauung etlichen Stürmen getrotzt hat, während die Matrosen krachend Schiffbruch erlitten. Dieses Gebäude ist unheimlich. Und doch möchte man am Ende des Romans sagen: „Ach bitte, darf ich mich noch eine Weile umsehen?“
Andreas Schäfer
Das Gartenzimmer
Dumont Verlag, 2020.
Gebunden, 352 Seiten, 22 Euro.