Hopse in der Hufeland

Hopse in der Hufeland

Die Texte von Lea Streisand sind für mich pure Schmunzelgarantie. So auch der neue Roman „Hufeland, Ecke Bötzow“.

Läuft man heute durch die Bötzow- oder Hufelandstraße, erinnert nur noch wenig an die Zeit, in der der neue Roman von Lea Streisand spielt: Die Altbauten sind pastellfarben saniert, hier und da findet man vielleicht noch eine Brandwand mit Baulücke davor, auf der ein Spielplatz steht, statt Geschäften für den täglichen Bedarf reihen sich hier hübsche Cafés und Schnickschnackläden aneinander.

1986 sah das ganz anders aus. Das ist das Jahr, in dem Franziska aus Adlershof in eine riesige Altbauwohnung an der Straßenecke im Bötzowkiez zieht, mit 18 Meter langem Flur und Kohleofen. Im Hinterhof die Teppichstangen, an denen man herumbaumeln und die Welt Kopf stehen lassen konnte. Und die sah, aus der Perspektive einer Sechsjährigen, im Osten wohl ähnlich aus wie im Westen: Es ging um „Hopse“ spielen auf der Straße, um Bandenkriege mit den Nachbarjungs, um Taschengeld, das man für Eis und andere Süßigkeiten ausgibt. Die DDR, das weiß Franzi, hat eine Mauer um sich herum, weshalb sie ihre Uroma in West-Berlin nur dann sieht, wenn diese über die Grenze kommt. Und naseweiß ist sie auch:

„Ich wuchs auf in dem Bewusstsein zweier Sprachen. Einer öffentlichen und einer privaten. Einer für zu Hause und einer für unterwegs. „Das darfst du aber nicht in der Schule erzählen, Franzi!“, ermahnten mich meine Eltern of, und ich schüttelte brav den Kopf. Aber dann war Montagmorgen, ich saß in der Schule, wir hatten Erzählstunde… und ich erzählte doch so wahnsinnig gern Geschichten.“

Wenn ihre Eltern mal wieder eine Frage mit dem Satz „Das erklären wir dir später“ abwiegeln, muss sie sich mit ihren Freunden eben selbst das Weltbild zusammenschustern. Da liegt Amerika dann an der Ostsee und ist die DDR plötzlich ein uralter Staat:

„1987 wurde unsere Hauptstadt 750 Jahre alt. Die Wurstverkäufer hatten sich zu diesem Anlass etwas Besonderes ausgedacht: Sie standen hinter ihrem Tresen im historischen Kostüm der ersten DDR-Bürger vor 750 Jahren. Lange habe ich mich gefragt, was dahintersteckte, dass das Gründungsdatum der DDR immer falsch angegeben wurde. Wie konnte denn, bitteschön, unsere Hauptstadt 750 Jahre alt sein, wenn das Land drumherum angeblich erst seit 1949 existierte?“

Auch für Pionierlieder der FDJ – die sie in ihrem Kinderzimmer inbrünstig singt, bis die Nachbarn von oben auf den Boden klopfen – und die offiziellen Paraden auf der Karl-Marx-Allee hat sie viel Faszination übrig. Sehr zum Verdruss ihrer Eltern, die so wenig wie möglich mit dem Staat zu tun haben wollen und später, während der Friedlichen Revolution im Herbst 1989, fast täglich demonstrieren gehen. Dann fällt die Mauer.

Ab da, so fühlt es sich für mich fast Gleichaltrige an, überschneiden sich die Erfahrungen zwischen Ost und West wieder. Zwar wird zunächst die ganze Stadt durchgeschüttelt, wissen die Lehrerinnen nicht mehr, was sie unterrichten sollen, gibt es eine neue Währung, neue Gerüche und Möglichkeiten. Doch Franzi bleibt in ihrem kleinen Kosmos Prenzlauer Berg, trägt Schlaghosen und hört Hippie-Musik, macht zaghafte Drogenerfahrungen und wird weniger zaghaft beim Klauen erwischt. Es geht plötzlich um langhaarige Jungs, die auf der Gitarre Nirvana spielen und mit ihr am Lagerfeuer knutschen. Und dann die Glöckchen, die sie sich in die Schnürsenkel binden!

Lea Streisand ist regelmäßig auf Berliner Lesebühnen zu hören und so ist auch ihr Schreibstil: Kurze Kapitel mit Pointe und etlichen Lachern. Alle könnten für sich stehen und sind doch eingebunden in das größere Ganze der Geschichte rund um das Ende der DDR und die fragwürdige „Wiedervereinigung“. Während der Lektüre kam ich mit dem Schmunzeln und Unterstreichen von Sätzen gar nicht mehr hinterher, war mittendrin in Kindheit und Teenie-Zeit der Hauptfigur und ließ sie am Ende nur ungern in die weite Welt hinaus. „Wer Lea Streisands Roman liest, will am liebsten sofort wieder Kind sein“, hat Autor Maxim Leo für den Klappentext beigesteuert. Er hat so Recht!

Lea Streisand
Hufeland, Ecke Bötzow
Ullstein Verlag, 2019
Gebunden, 224 Seiten, 20 Euro

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