Hühner statt Hipster

Hühner statt Hipster

Berlin ist nicht das Nonplusultra: Zwei neue Romane beschäftigen sich mit der Rückkehr aus der Hauptstadt in das ländliche Heimatdorf.

Es gibt unzählige „Berlin-Romane“, in denen Protagonist*innen der Enge ihres Heimatdorfes entfliehen, um in der großen Stadt ihr Glück zu suchen. Die Hühnerstall gegen Hipster eintauschen, Dorfkneipe gegen Berghain. Zurück bleiben die, die es nicht besser wussten – zumindest aus Sicht der Hauptstädter*innen. Dann kamen Juli Zeh und Dörte Hansen und holten übermüdete Großstädter*innen zurück aufs Land.

Dass jetzt zwei weitere Autorinnen ihre Protagonistinnen aus der pulsierenden Hauptstadt zurück zu ihren Wurzeln in die weiten Felder Norddeutschlands schicken – ist das schon die Umkehr des Trends? Vermutlich nicht. Es täte den beiden Romanen – „Die Rückkehr der Kraniche“ von Romy Fölck und „Eine andere Zeit“ von Helga Bürster – auch Unrecht, sind sie sich zwar im Grundmotiv ähnlich, doch in den Details völlig verschieden.

Quer durch die Jahrzehnte

Während bei Romy Fölck die verschiedenen Generationen ihre Probleme miteinander haben, geht der Riss in Helga Bürsters Geschichte mitten durch zwei Schwestern: Suse und Enne wachsen in den 1970ern in einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern auf, tief in der ostdeutschen Provinz. Während Enne mit ihrem Freund Toni durch die Felder zieht und überzeugt ist, ihren Beitrag zum Erhalt der sozialistischen Gesellschaft liefern zu müssen, ist Suse die zurückhaltendere, immer kränkelnde von den Beiden. Die Eltern verhätscheln sie, die Nachbarn beäugen sie.

Als die Sowjetunion in den 1980ern ihre Zügel lockert, sind die Mädchen längst junge Frauen geworden – und Suse nutzt die Chance, bei einem Ungarn-Urlaub ohne ihren Verlobten über die „grüne Grenze“ in den Westen zu flüchten. Es kommt kein Brief, kein Lebenszeichen von ihr. Enne geht nach Berlin, will Schauspielerin werden, wird es auch, aber das persönliche Glück bleibt aus. Also zurück in die Heimat, auf den kleinen Hof auf dem Land, wo der Verlobte von Suse – mit dem Enne längst eine nicht mehr nur platonische Freundschaft führt – auf die Rückkehr wartet. Dann fällt die Mauer.

Dreißig Jahre später wohnt Enne noch immer in ihrem Elternhaus, es gibt keinen Kontakt zu Suse. Dann tuscheln die Dörfler plötzlich von einer rätselhaften Frau, die sich im Nachbarhaus eingemietet hat, die leicht versponnene Cousine Christine ist sogar davon überzeugt, Suse gesehen zu haben. Ob sie letztendlich doch zurückgekehrt ist?

„Sie hatten sich in einem Leben eingerichtet, in dem Suse immer noch herumgeisterte. Enne fragte sich manchmal, was aus ihnen hätte werden können, hätte ihre Schwester sich nur einmal gemeldet. Mir geht es gut, wir sehen uns im nächsten Leben. Etwas in der Art.“

Geheimnisse und Unausgesprochenes aus längst vergangenen Tagen bilden auch den Mittelpunkt in Romy Fölcks Roman „Die Rückkehr der Kraniche“. Der Titel könnte vermuten lassen, dass es sich hier um eine rührselige Familiengeschichte mit tränenreichen Offenbarungen und glücklichem Ende handelt. Aber das stimmt nur im Ansatz.

Zurück auf Anfang

Wir befinden uns in der Elbmarsch, wo Grete Hansen als Vogelwartin arbeitet. Sie lebt noch immer im großen Haus ihrer Kindheit, wo sie mit der norddeutsch-spröden Mutter Wilhelmine eine wortkarge Schicksalsgemeinschaft eingegangen ist. Ihre Schwester Freya hat sich mit der erste Möglichkeit nach Berlin verabschiedet, wo sie ein glamouröses Leben als Unternehmerin führt, nur Pflichtbesuche führen sie einmal im Jahr in die Elbmarsch zurück.

Doch dann bricht Wilhelmine zusammen und weigert sich, stur wie sie ist, in ein Krankenhaus zu gehen. Freya, gerade von ihrem Partner verlassen und zurückgelassen mit dem unerfüllten Kinderwunsch, kommt der Unfall gerade recht, um aus der Stadt zu fliehen. Mit von der Partie ist auch noch Anne, die Tochter von Grete. Wer ihr Vater ist, das hat Grete ihr nie verraten und es schwebt auch jetzt – die Schicksalsgemeinschaft ist von jetzt auf gleich auf vier Frauen angewachsen – über der Szenerie. Es ist klar: Es müssen dringend Gespräche geführt werden.

Romy Fölck hat sich entschieden, das Geschehen nicht aus einer Perspektive, sondern abwechselnd aus der Sicht der vier Frauen zu schildern – und das gibt der Geschichte die Mischung aus Tiefe und Schwung, die einen als Leser*in unweigerlich hineinzieht. Die Schilderungen der Natur aus Gretes Blick fügen der Atmosphäre außerdem eine besondere Note hinzu, die nie pathetisch oder kitschig wirkt:

„Die Vormittagssonne warf ein leuchtendes Lichtband in die Scheune, in dem Milliarden Staubpartikel schwebten. Grete streckte die Hand aus, ließ ihre Haut in der Sonne leuchten. Plötzlich legten sich Wolken vor die Sonne, ließen das Lichtband verschwinden, als wäre es lediglich eine Erscheinung gewesen. Es wurde sofort kühler in der Scheune, der Staub in der Luft unsichtbar.“

Vielleicht sind es die Weckgläser mit Eingemachten, das Unkraut zupfen oder das Umgraben des Gemüsebeets, die immer wieder im Roman vorkommen, die mich als Kleingärtnerin überzeugt haben. Doch ist da noch etwas anderes: Männer kommen vor, natürlich – aber sie sind nicht die „Heilsbringer“, die starken, holzhackenden Alphatierchen, welche die Frauen vom Fleck weg heiraten und alles ist gut. Romy Fölck hat eine äußerst angenehme Alternative gefunden.

Figuren mit Ecken und Kratzern

Darin ähnelt sie Helga Bürster, denn auch hier lesen wir von starken Figuren jedweden Geschlechts. Stark im Sinne von: Sie zeigen sich mit ihren Schwächen, sie sind nicht perfekt, sie haben nicht die ultimative Lösung für das „richtige“ Leben gefunden. Sie scheitern. Und stehen auf, um weiterzumachen. Bekommen dabei Ecken und Kratzer, haben die innere Weichheit aber dennoch nicht verloren.

Sie entscheiden sich, die Großstadt und das anonyme Hauen und Stechen dort hinter sich zu lassen, um zurück zum Ort ihrer Kindheit zu ziehen und sich dort ihren persönlichen Dämonen zu stellen. Manche von ihnen müssen dabei akzeptieren, dass die Dämonen nun Teil ihres Lebens bleiben – ob sie nun in Berlin leben oder zwischen Bäumen und Blumen auf dem Dorf.

Helga Bürster
Eine andere Zeit
Suhrkamp, 2022
Gebunden, 250 Seiten, 23 Euro

Romy Fölck
Die Rückkehr der Kraniche
Rowohlt, 2022
Gebunden, 336 Seiten, 22 Euro

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