Raus aus der Kuschelecke

Raus aus der Kuschelecke

Warum werden Bücher auf Blogs selten kritisch besprochen? Das habe ich mich bereits 2018 gefragt – und den Text jetzt nochmal aus dem Archiv geholt.

„Oh Mann, die Protagonistin hat mich schier in den Wahnsinn getrieben mit ihrem Gejammer“, „Die Hauptfigur war so eklig, ich hatte nach dem Lesen das Bedürfnis, mir die Hände zu waschen“ oder „Wie in diesem Buch über den Tod geredet wird, das war mir viel zu drollig!“

Unterhalte ich mich mit anderen Bloggern über Literatur, so ist er durchaus da: der Diskurs. Auf Branchentreffs wie der Leipziger und der Frankfurter Buchmesse wird heiß diskutiert, bis die Hornbrillen beschlagen – denn was uns eint, ist die leidenschaftliche Liebe zur Literatur: Die Freude daran, in eine Geschichte einzutauchen und darin aufzugehen. Sich von den Worten tragen zu lassen, über stilistische Hürden zu stolpern und einen kühnen Blick über den Tellerrand zu wagen.

Keine Angst vor kritischen Tönen

Doch manchmal gehen diese Reisen zwischen zwei Buchdeckel gehörig schief, verläuft die Begegnung mit der Geschichte katastrophal oder gar mit jähem Ende: Wir brechen das Buch ab. In diesen Fällen wandert es meistens ins Regal oder den nächsten öffentlichen Bücherschrank, kein Gedanke wird mehr an die verkorkste Zusammenkunft von Leser und Literatur verschwendet.

Schreiben wir doch einmal darüber, bleibt die Kritik in den meisten Fällen moderat und leise, lugt vorsichtig hinter den abmildernden Satzbausteinen hervor. Aber wieso eigentlich? Warum halten wir mit unserer Meinung hinterm Berg, so bald sie die Komfortzone der lobenden Besprechung verlässt? Steht dahinter die Angst, keine Rezensionsexemplare mehr zu bekommen oder gar in den Augen der Verlage zur Persona non grata zu werden? Oder muss hier das altbekannte Argument bemüht werden, man schreibe ja schließlich in seiner Freizeit und die wolle man nicht an die Ausarbeitung eines Verrisses verschwenden?

Uns wird von Zuschauern oft vorgeworfen, dass wir die Bücher nicht hinreichend loben. Wir sind nicht der verlängerte Arm der Werbeabteilungen deutscher Verlage.“
(Marcel Reich-Ranicki über „Das Literarische Quartett“)

Dies hat natürlich seine Berechtigung: Wieso sollte ich mehrere Stunden aufbringen, ein Buch zu rezensieren, welches mich schon während des Lesens aufgrund haarsträubender Irrelevanz, krummer Sprachspiele und belangloser Dialoge auf die Palme brachte? Nun, diese Bücher können wir getrost zur Seite legen.

Aber wie schaut es aus mit den Exemplaren, die uns als Leser unangenehm berühren, die uns wütend machen, verärgern, empören? Über die ich mich, im Gespräch mit anderen (die – oh Schreck – das Buch vielleicht mit Freude gelesen haben?) bis zur bereits erwähnten beschlagenen Hornbrille ereifern kann? In diesen Fällen, so denke ich, lohnt sich der gekonnt argumentierte Verriss oder, um es nicht ganz so scharf zu machen, das mit kritischen Worten ausgedrückte Unbehagen – eine Rezension, die andere Leser warnt: Achtung, mein Lieber, dieses Buch ist eine Herausforderung!

Schlechte Presse ist besser als gar keine Presse

„Sie werden über dieses Buch reden wollen“, ich bemühe noch einmal den geschickt formulierten Werbespruch des Hanser Verlags zu Ein wenig Leben von Hanya Yanagihara, diese – in meinen Augen! – 800 Seiten tränenreicher, pathetischer Sprachsülze, von der ich zu Tode gelangweilt war. Ich schrieb damals nicht darüber, da der allgemeine Konsens auf den Literaturblogs „Wow! Dieses Buch hat mich emotional total berührt“ mich verunsicherte. Warum zündete der Roman bei mir nicht? Bin ich eine so schwierige Leserin? Doch ein Jahr später kann ich mich noch immer darüber ärgern – ich will tatsächlich noch immer über dieses Buch reden.

Und ich nehme mir vor, in Zukunft kritischer zu sein, verschiedene Standpunkte in meine Besprechungen einfließen zu lassen, zu argumentieren und zu analysieren – denn selbst wenn wir nicht für die Feuilletons etablierter Zeitungen schreiben, so wird unsere Meinung wahr- und vor allem auch ernst genommen – lassen wir sie nicht zu einem weich gewaschenen Lobgesang auf zeitgenössische Belletristik verkommen, sondern seien wir mutig, kritisch, aufrührerisch. Frei nach dem Motto „Schlechte Presse ist besser als gar keine Presse.“

Titelbild: Florencia Viadana / Unsplash

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